Niederschwelliger, bedarfsorientierter, gleichberechtigter, solidarischer und zeitgerechter Zugang zu qualitätsvollen und evidenzbasieren Versorgungs- und Pflegeleistungen ist aktuell Priorität und Herausforderung zugleich. Zugangsbarrieren wie finanzielle, strukturelle, personelle oder regionale Herausforderungen und teilweise lange Wartelisten zu überwinden, scheint ein Schlüssel dazu, wie die Länder der Europäischen Region das Ziel einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage, UHC) erreichen könnten. Die Möglichkeiten und Entwicklungen im Bereich eHealth (elektronische Gesundheitsdienste) spielen eine entscheidende Rolle in der Verbesserung des Zugangs zu Versorgungs- und Pflegeleistungen. Beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) für gesundheitsbezogene Produkte, Dienstleistungen und Prozesse, wie bspw. die elektronische Krankenversicherungskarte, Gesundheitsakte und Medikationsübersicht oder Telemedizin, muss jedoch auf Aspekte der Ethik und Gleichberechtigung geachtet werden, um sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird. Die Integration von Gesundheitsdiensten über Disziplinen und Sektoren hinweg (z. B. die Integration von psychischen Gesundheitsdiensten mit Bildungsdiensten) ist ein wichtiges Instrument zur Verbesserung des Zugangs zu Versorgung und Pflege für alle.

Zu diesen Themen gibt es Forschungsergebnisse und Anwendungsprojekte aus Österreich, die bei der 26. wissenschaftlichen Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Public Health (ÖGPH), am 25. und 26. Mai während der European Public Health Week präsentiert werden.

Bei der 26. ÖGPH-Konferenz „Vom Wir zum Ich – Vom Ich zum Wir. Braucht es [noch] eine Solidargemeinschaft?“ werden in Bezug auf Gesundheits- und Pflegeleistungen unter anderem in den Bereichen (Langzeit)Pflege, Zugang zu Versorgungsleitungen und Daten(verfügbarkeit) spannende Ergebnisse vorgestellt

Eine Reihe von Beiträgen widmet sich den vielfältigen Aspekten der Pflege und Versorgung im häuslichen und stationären Setting. In Zeiten des demografischen und sozialen Wandels, der vermehrten Belastungen im Gesundheitssystem sowie des Fachkräftemangels ist die Sicherstellung langfristiger Betreuungen für (hochaltrige) Personen und somit eine Entlastung vorhandener Kapazitäten des Gesundheitssystems bedeutsam. Braun nimmt beispielsweise den durch Covid-19 hervorgerufenen Karriereschock in der Langzeitpflege in den Blick, der bei vielen Pflegekräften die Reflexion auf die eigene Karriere angestoßen hat. Es zeigte sich unter anderem, dass die öffentliche Fremdbeschreibung der Langzeitpflege grundsätzlich defizitär ist. Wie sich die aktuelle logopädische Versorgung von Bewohner:innen steirischer Pflegeheime als Teilsaspekt der Pflege aus Sicht der Professionist:innen darstellt und wie die Versorgung in der Zukunft gewährleistet werden kann wird von Ofner vorgestellt. Die Ergebnisse weisen auf logopädische Unterversorgung hin, was negative Auswirkungen auf des Dysphagiemanagement in diesem Setting hat. Neue Herausforderungen benötigen auch eine Neustrukturierung bzw. Optimierung der Versorgung von Pflege- und Betreuungsleistungen und einen Fokus auf die Prävention und Gesundheitsförderung. Sackl stellt zur Diskussion, wie sich das österreichische, aus Mitteln der Europäischen Union finanzierte Pilotprojekt Community Nursing in Österreich in die Versorgungslandschaft in Österreich eingliedert und zukünftig die Versorgungslandschaft in Österreich beeinflussen wird. Neben Aspekten des Zugangs zu und Verfügbarkeit von Gesundheitsleitungen und Fachkräften ist auch die Qualität von Pflege und Versorgung von entscheidender Bedeutung. Weißenhofer stellt ihre Arbeitsdefinition für Qualität professioneller Betreuung und Pflege als Grundlage für ein österreichweites Pflegereporting vor, die sicherstellt, dass die Auswahl von Messgrößen bzw. die Grundlage für die Interpretation gemessener Werte gegeben ist. Sie ist für professionelle Leistungen durch Angehörige der Sozialbetreuungsberufe sowie der Berufe der Gesundheits‐ und Krankenpflege (GuK) gemäß den jeweiligen (berufs)rechtlichen Regelungen in allen Versorgungsformen und ‐stufen anwendbar. Gaugg beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Beziehungsqualität pflegender Angehöriger von hochaltrigen Personen und Betreuungskräften der 24-Stunden-Betreuung. Rieser & Zeidler stellen mit Linked Care ein österreichweites Leuchtturm Projekt im Bereich Pflege und Betreuung vor, das zum Ziel hat eine Schnittstelle zwischen verschiedensten Organisationen und Institutionen zu schaffen. Durch Linked Care wird es erstmals möglich sein, Gesundheitsdaten auf einer Plattform zu speichern und für berechtigte Personen im Gesundheitsumfeld schnell und einfach zugänglich zu machen. Dies erleichtert die Arbeit von Ärzt:innen, Angehörigen und Pflegekräften, hat aber auch einen direkten Einfluss auf Patient:innen, da diese von einer erhöhten Qualität ihrer gesundheitlichen Betreuung profitieren werden.

Hauptort der Primärversorgung sind allgemeinmedizinische Vertragspraxen und Primärversorgungseinheiten. Für die Versorgungsforschung stellt sich die Frage, durch welche Faktoren die Heterogenität der Versorgung in diesen Einrichten beeinflusst wird. Mathis-Edenhofer hat dazu Daten aus 2021 analysiert, die mit dem Umfang des jeweiligen Leistungsspektrums assoziiert sind, und stellt die Ergebnisse vor. Ein Fokus in den Beträgen zum Zugang zu Versorgungsleistungen liegt bei der Konferenz in diesem Jahr im Bereich psychischer Erkrankungen. Ofner, Sagerschnig & Witt-Dörring stellen ihre Erkenntnisse über den Bedarf an und die Inanspruchnahme von psychosozialen Angeboten sowie zum Nutzen von spezifischen Angeboten bei psychischen Belastungen vor, die vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen für Mütter mit psychischen Belastungen in Wien und Tirol angeboten werden. Während der COVID-Pandemie wurde die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen häufig kurzfristig auf digitale Angebote umgestellt. Zeiler präsentiert die Tops & Flops der digitalen Versorgung. Besonders wesentlich scheint es dabei, wichtige Solidargemeinschaften (Behandler-Patientin, Behandler-Eltern, Eltern mit anderen Eltern, Familie) Aufrecht zu halten. Erfahrungen dieser Art helfen bei der Entscheidung, welche Behandlungsaspekte weiterhin digital angeboten werden können und wann eine Face-to-Face-Behandlung Vorrang haben sollte Gesundheitsdaten sind die Basis für qualitätsgesicherte Informationen zur gesundheitlichen Lage der österreichischen Bevölkerung zu relevanten Determinanten der Gesundheit für Situationsanalysen, kontinuierliches Gesundheitsmonitoring (Gesundheitsberichterstattung), Performance-Analysen zum Gesundheitssystem, Bedarfsanalysen oder zur Planung von Maßnahmen und Initiativen zur Förderung und Erhaltung der Bevölkerungsgesundheit. Die Web-Applikation gesundheitsatlas.at dient der Visualisierung von Gesundheitsdaten, die anhand definierter Indikatoren regional differenziert für unterschiedliche Jahre und für bestimmte Bevölkerungsgruppen abgerufen werden können und kann so zielgerichtete und informierte Entscheidungen unterstützen (Griebler, R). Dolanski-Aghamanoukjan untersucht wie Public Health als Datenwissenschaft von Daten und Solidarität zu Datensolidarität kommt. Die Verfügbarkeit der richtigen Daten in angemessener Qualität stellt eine Herausforderung dar, rund um die Gestaltung digital unterstützter Public Health-Dateninfrastrukturen gib es noch „viel Luft nach oben“ in Österreich und anderswo. Sie diskutieren die Potentiale und Herausforderungen eines Gesetzgebungsvorhaben zum Verordnungsvorschlags für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS), das die Möglichkeiten der Nutzung von Gesundheitsdaten signifikant ausweiten würde.